Über den Dank

by Max Mordechai Livni, Kiriat Tivon

Max Mordechai Livni, Olbramovice (2006) © Dan Hirsch

Es gibt Tatsachen, die man immer wieder für die Nachgeborenen wiederholen muss, damit sie dieselben in ihre Weltanschauung aufnehmen.

  • Meine (damals zukünftige) Mutter Hannchen Lieben, geb. Grünbaum, war im Ersten Weltkrieg als freiwillige Krankenschwester in einem deutschen Militärlazarett tätig und betreute dort verwundete Soldaten. 

    Als Dank dafür wurde sie 1944 in Auschwitz ermordet. 
     
  • Mein Vater, Prof. Dr. Eugen Lieben, unterrichtete Generationen von Schülern in unserer Heimatstadt Prag in deutscher Unterrichtssprache. 
      
    Als Dank dafür wurde auch er 1944 in Auschwitz ermordet. 
    Ihr Sohn Rudolf – mein Bruder – starb ebenfalls in einem Konzentrationslager. 
     
  • Der ältere Bruder meines Vaters, Dr. Salomon Lieben, leitete im Ersten Weltkrieg ein Feldlazarett und behandelte dort österreichische und deutsche Verwundete. 
     
    Als Dank dafür wurde er 1942 in einer Nazi-Tötungsanstalt bei Salzburg ermordet. Seine Witwe und drei Kinder wurden in Konzentrationslagern ermordet. 
     
  • Der jüngere Bruder meines Vaters wurde im Ersten Weltkrieg im Kampf bei Isonzo in Italien verwundet und war monatelang in einem Lazarett. 
     
    Als Dank dafür wurde er 1944 in Auschwitz ermordet. Auch seine Frau und zwei Söhne wurden in Konzentrationslagern getötet.


Anmerkungen:

Obiges Prosagedicht wurde dem Memos e. V. von Max Mordechai Livni zur Verfügung gestellt. Wir sind ihm dafür tief verbunden und es ist uns eine unschätzbare Ehre, "Über den Dank" zum 27. Januar 2023 veröffentlichen zu dürfen. Es ist dies der Todestag Chavah Livnis, der Frau des Autoren, die 2020 in Kiriat Tivon 93-jährig verstorben ist. Diese Seite ist ihrer Erinnerung gewidmet.

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Auf den Tag genau 75 Jahre zuvor, am 27. Januar 1945, wurde das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit. 2005 wurde dieser Tag von den Vereinten Nationen zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust erklärt. Wir schließen uns den Ausführungen an, die zehn Jahre später im Deutschen Bundestag gemacht wurden:

"Wir gedenken der Entrechteten, Gequälten und Ermordeten: der europäischen Juden, der Sinti und Roma, der Zeugen Jehovas, der Millionen verschleppter Slawen, der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, der Homosexuellen, der politischen Gefangenen, der Kranken und Behinderten, all derer, die die nationalsozialistische Ideologie zu Feinden erklärt und verfolgt hatte. Wir erinnern heute auch an diejenigen, die mutig Widerstand leisteten oder anderen Schutz und Hilfe gewährten und dafür selbst allzu oft mit ihrem Leben bezahlen mussten. Und unsere Gedanken sind bei all denen, die vom Trauma des Überlebens gezeichnet gewesen und geblieben sind, deren Familiengeschichte vom Verlust ihrer Angehörigen und Freunde geprägt ist."
(Bulletin des Deutschen Bundestages vom 27. Januar 2015)

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Wir umarmen dich, lieber Max, und verneigen uns vor deiner Tapferkeit!